Komplexe Gerinnungsstörungen
Neben dem Fehlen von einzelnen Blutgerinnungsfaktoren wie z. B. bei der Hämophilie A oder B (Faktor-VIII-bzw. Faktor-IX-Mangel) gibt es weitere, zumeist erworbene Gerinnungsstörungen, bei denen mehrere Gerinnungsfaktoren vermindert sind.
Erworbene Gerinnungsstörungen treten häufig als Begleitsymptomatik unterschiedlicher Erkrankungen auf. Diese Gerinnungsstörungen können auf einen gesteigerten Verbrauch, den Verlust oder eine Störung der Synthese von Gerinnungsfaktoren zurückgeführt werden.
Disseminierte intravasale Gerinnung
Die disseminierte intravasale Gerinnung (disseminated intravascular coagulation, DIC) auch Verbrauchskoagulopathie genannt, ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, die als schwerwiegende Komplikation bei einer Reihe von Grunderkrankungen wie beispielsweise Sepsis, Lebererkrankungen oder malignen Erkrankungen auftreten kann.
Die Entwicklung der DIC ist ein dynamischer Prozess. Zunächst kommt es zu einer systemischen Aktivierung des Blutgerinnungssystems, d.h. die Gerinnung ist nicht wie im Normalfall lokal auf den Ort der Verletzung begrenzt, sondern findet in den Blutgefäßen des gesamten Körpers statt. Aufgrund der übermäßig stark ablaufenden Blutgerinnung kommt es zur Bildung von Mikrothromben. Diese beeinträchtigen durch eine vermehrte Ablagerung innerhalb der Gefäße die Blutversorgung wichtiger Organe, z. B. Lunge, Niere und Herz. Durch die entstehende Unterversorgung kann es zu einer Beeinträchtigung der Organfunktion bis hin zum Multiorganversagen kommen, das letztendlich zum Tod des Patienten führen kann.
Im Verlauf der Erkrankung kommt es durch die übermäßig stark ablaufende Blutgerinnung zu einem massiven Verbrauch wichtiger Komponenten des Gerinnungssystems wie Gerinnungsfaktoren und -inhibitoren. Dadurch kann der Gehalt an Gerinnungsfaktoren soweit reduziert werden, dass beschädigte Blutgefäße nicht mehr verschlossen werden können. Es kommt zu diffusen Blutungen aus Wundflächen, Schleimhäuten und Injektionsstellen.
Damit liegt bei der DIC die paradoxe Situation vor, dass einerseits im gesamten Körper unnötigerweise Mikrothromben gebildet werden, andererseits aber an Stellen, an denen Thromben zum Wundverschluss benötigt werden, die notwendigen Bestandteile des Gerinnungssystems nicht mehr in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen.
Primär steht bei der Therapie der DIC immer die zugrunde liegende Erkrankung im Vordergrund. Die Behandlung der Grunderkrankung soll die Ursache für die systemische Gerinnungsaktivierung eliminieren. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Hemmung der Gerinnung, um die Bildung der Mikrothromben zu stoppen. Hier stehen natürliche Inhibitoren der Gerinnung wie z. B. Antithrombin zur Verfügung. Bei starken Blutungen müssen ggf. die verbrauchten Gerinnungsfaktoren ersetzt werden. Dies kann einerseits mit humanem Frischplasma erfolgen, es kann aber auch die Gabe von Gerinnungsfaktorkonzentraten (z. B. Prothrombinkomplex- oder PPSB-Konzentrate) notwendig sein.
Sepsis/SIRS
Septische oder systemisch inflammatorische Prozesse (Sepsis/SIRS) sind in der Intensivmedizin nicht selten und bei schweren Verläufen (septischer Schock) mit einer hohen Letalität von > 40% verbunden. Das Kompetenznetzwerk Sepsis (SepNet) führte im Zeitraum von 15.01.2003-14.01.2004 an 545 Intensivstationen in 310 Krankenhäusern - repräsentativ für 2075 Intensivstationen an 1380 deutschen Krankenhäusern – eine prospektive Querschnittsstudie durch, um u.a. die Prävalenz und Letalität der Sepsis zu ermitteln. Die Ergebnisse zeigen, dass pro Jahr 75.000 Einwohner (110 von 100.000) an einer schweren Sepsis und 79.000 (116 von 100.000) an einer Sepsis erkranken . Damit stellen die septischen Erkrankungen die siebthäufigste Krankenhausentlassungsdiagnose unter den lebensbedrohlichen Erkrankungen dar. Die 90-Tage-Sterblichkeit von Patienten mit schwerer Sepsis betrug 54%. Mit ca. 60.000 Todesfällen stellen septische Erkrankungen somit die dritthäufigste Todesursache nach dem akuten Myokardinfarkt, aber vor der Herzinsuffizienz dar¹.
Eine Sepsis (häufig auch als Blutvergiftung bezeichnet) wird durch Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze, Viren oder Parasiten ausgelöst. Die Krankheitserreger und/oder ihre Toxine aktivieren das Immunsystem des Körpers und es entsteht als normale Abwehrreaktion eine Entzündung mit den klassischen Symptomen Schmerz, Überwärmung und Fieber, Rötung und Schwellung. Ziel der körpereigenen Abwehrreaktion ist es, die Infektion auf den Ursprungsort zu begrenzen und zu beseitigen. Da Infektionen häufig durch Verletzungen entstehen, kann das Immunsystem auch gleichzeitig das Gerinnungssystem aktivieren.
Gelingt es dem Körper nicht, die Infektion auf den Ursprungsort zu begrenzen, beispielsweise bei der Mandelentzündung auf die Mandeln, breiten sich die Krankheitserreger bzw. ihre Toxine durch den Blutkreislauf im ganzen Körper aus. Diese Invasion kann innerhalb weniger Stunden Entzündungsreaktionen im gesamten Körper hervorrufen, die zum Versagen verschiedener Organe führen können. Fallen zwei oder mehrere Organe aus, handelt es sich um eine schwere Sepsis. Kommt es zu Herz-Kreislauf-Versagen, spricht man von einem septischen Schock.
Häufig aktivieren die Entzündungsreaktionen das Gerinnungssystem, so dass als zusätzliche Komplikation eine DIC auftreten kann.
1. Brunkhorst FM Epidemiologie, Ökonomie und Praxis-Ergebnisse der deutschen Prävalenzstudie des Kompetenznetzwerkes Sepsis (SepNet) Anästhesiol Intnsivmed Notfallmed Schmerzther 2006; 41;43-44
Prothrombinkomplexmangel
Der Prothrombinkomplex umfasst die Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X, die mit Hilfe von Vitamin K in der Leber gebildet werden. Liegt ein Mangel an diesen Faktoren vor, kann keine ausreichende Blutgerinnung stattfinden. Es sind verschiedene Ursachen bekannt, die einen Prothombinkomplexmangel auslösen können, wie z. B. Lebererkrankungen, Verlust- und Verbrauchskoagulopathien aber auch die Gabe von Cumarinpräparaten zur oralen Antikoagulation.
Häufig kommt es dann auch zu einer Verminderung der Inhibitoren Protein C und Protein S, die ebenfalls Vitamin K-abhängig in der Leber synthetisiert werden. Bei der Gabe der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X sollten die Inhibitoren entsprechend verabreicht werden.
Umkehrung einer Cumarin-Therapie
Patienten mit einem erhöhten Thromboserisiko werden zur Prophylaxe mit oralen Antikoagulantien therapiert. Häufig werden hier Cumarinderivate eingesetzt. Diese greifen in die Bildung von Gerinnungsfaktoren ein, so dass diese teilweise nicht funktionsfähig sind und somit die Fähigkeit des Gerinnungssystems, Gerinnsel zu bilden und Blutungen zu stoppen, beeinträchtigt ist. Davon betroffen sind die Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X, die Vitamin-K-abhängig in der Leber gebildet werden. Auch die Bildung der Inhibitoren der Gerinnung, Protein C und S, die ebenfalls Vitamin-K-abhängig in der Leber gebildet werden, ist bei der oralen Antikoagulation betroffen.
Sind bei diesen Patienten akute chirurgische Eingriffe notwendig, oder treten schwere Blutungen auf, muss die Wirkung der Cumarinderivate aufgehoben werden. Eine Therapieoption ist das Ersetzen der fehlenden Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X. Hier bieten sich PPSB-Konzentrate an, die Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren und Inhibitoren enthalten. PPSB-Konzentrate sind schnell verfügbar und die Wirkung tritt innerhalb von 10 Minuten nach Gabe ein. PPSB-Konzentrate normalisieren die Gerinnung in der Regel für mehrere Stunden. Aufgrund der Halbwertszeit von Cumarinderivaten ist aber in der Regel eine längere Normalisierung der Gerinnung notwendig. Daher wird empfohlen, nach der PPSB-Gabe Vitamin-K-Präparate zu geben, die zu einer Verlängerung der Normalisierung der Gerinnung führen.
Verlustkoagulopathie
Eine Verlustkoagulopathie entsteht bei stark blutenden Patienten, die mit Volumenersatzmitteln wie HES, Gelatine, Albumin oder Kristalloiden behandelt werden. Die Konzentration der Gerinnungsfaktoren nimmt ab, bis sie nicht mehr zur Gerinnselbildung ausreicht und Blutungen nicht mehr gestoppt werden können.
Massivtransfusion
Von Massivtransfusion wird gesprochen
bei einem Austausch des Blutvolumens in 24 Stunden,
einem 50%igen Austausch in 3 Stunden
der Gabe von 4 Erythrozythenkonzentraten binnen 1 Stunde bei fortbestehender starker Blutung
bei mehr als 150 ml Blutverlust pro Minute
Massivtransfusionen werden häufig nach Polytraumen, rupturierten Aortenaneurhismen, gastrointestinalen Blutungen oder schweren Gerinnungsstörungen bei chirurgischen Eingriffen benötigt. Das genaue Vorgehen bei Patienten mit Bedarf an Massivtransfusionen wird derzeit diskutiert. Ein vielversprechender Weg ist der Einsatz von Plasma und Erythrozytenkonzentraten in einem Verhältnis von 1:1 bis 1:2. So wurde bei Patienten mit rupturierten Aortenaneurhismen gezeigt, dass die frühe Gabe von Transfusionspaketen (5 Plasmen, 5 Erythrozytenkonzentraten und 2 Thrombozytenkonzentraten) die Mortalität im Vergleich zu einer historischen Kontrollgruppe signifikant reduziert hat¹. Studien aus den USA bestätigen, dass eine frühzeitige und hochdosierte Gabe von Plasma und Erythrozyten im Verhältniss 1:1 die Mortalität bei Patienten mit Massivtransfusionen reduziert hat. Auch eine Auswertung des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie bestätigt dies².
1. Johansson P.I.Stensballe J., Rosenberg I., Hilslov T.L., Jorgensen L. und Secher N.H. (2007) Proactice administration of platelets and plasma for patients with a ruptured abdominal aortic aneurysm: evaluating a change in transfusion practice. Transfusion; 47:593-598
2. Maegele M., Lefering R.; Paffrath T., Tjardes T., Simanski C. und Bouillon B. (2008) Red blood cell to plasma ratios transfused during massive transfusion are associated with mortality in servere multiply injury: a retrospective analysis from the Trauma Registry of the Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Vox Sang.; 95:112-119
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